Eines der häufigsten Vorurteile. Wer außerhalb Berlins- womöglich noch in München - offen behauptet Bondage zu praktizieren, der erntet noch viel zu häufig irriterte Blicke. Diese begründen sich jedoch durch unzureichende oder falsche Informationen zum Thema Bondage sowie das verzerrte Bild in den Medien (z.B. Böse Domina fesselt wehrlosen, armen Sklaven in dunklen Kellern. Oder Shades of Grey: Der Perverse wird durch Liebe "geheilt", etc.). Oft fehlt es an Wissen um die geistigen Dimensionen und Tiefen der bewusst erfahrenen oder gegebenen Wehrlosigkeit und der Klärung, worum es beim Fesseln tatsächlich geht. Wird dann der Begriff "Bondage" gegoogelt, so stößt der:die Suchende zwangsläufig auf (teils sehr gute) Hardcore-Pornos und leider auch Filme jenseits des guten Geschmacks, welche die Einordnung unseres Lieblinshobbys in die Kategorie „unnormal“, bzw. „pervers" nur so untermauern. Was da in Pornos zu sehen ist, ist eben nur 5% der Möglichkeiten und Ebenen, die Bondage/Shibari bietet.
Doch was meint das eigentlich?
Das Wort ‚pervers‘ stammt vom lateinischen perversio und meint „Verdrehung, Umkehrung“. Der Begriff bezeichnet eine Moralvorstellung (oder Handlung), welche die Grenzen des Erlaubten oder gemeinhin üblichen überschreitet oder aber ein der Norm widersprechendes Sexual- und Triebverhalten.
Ich möchte an dieser Stelle weitere Punkte erläutern, die gegen jene Einordnung sprechen könnten:
1. Wir fesseln einander nur im gegenseitigen Einverständnis. Jemanden gegen seinen Willen zu fesseln ist eine Straftat und hat nichts mehr mit hedonistischen Fesselspielen zu tun.
2. Müssen wir uns fragen, was überhaupt ‚normal‘ oder ‚gemeinhin üblich‘ ist. Wenn ich sehe, wie viele Paare über Handschellen, Hängevorrichtungen, Fesselmöglichkeiten oder sogar Schlagwerkzeuge verfügen und von den vielen Interessierten - „normalen Leuten“ - am Thema Bondage mal ganz zu schweigen, dann frage ich mich, ob eine gehobene Neugier und Experimentierfreudigkeit am Fesseln nicht mittlerweile sehr viel normaler geworden ist, als noch vor zwei Jahrzehnten. Nicht zuletzt auch durch die mediale Konzentration auf die Sexualität und ihre Erscheinungsformen. Sicher spreche ich hier von meinen Erfahrungen in Berlin und anderen europäischen Großstädten, doch das Internet und die Medien sind nahezu von allen Orten zu erreichen.
3. Wie schon erwähnt, beruhen die meisten Vorurteile tatsächlich auf unzureichender Information und verzerrten Vorstellung zum Thema. Teilweise mischt sich auch Angst darunter, da der hinter den Spiel- und/oder Fesselszenen liegende Verständigungsgrund (Einvernehmlichkeit, gute Kommunikation, Vertrauen, Spaß auch an ungewöhnlichen Praktiken, positiv konnotierte Schmerzerlebnisse, etc.) für den nicht informierten Betrachter unerklärt bleibt. Nicht selten kann die Verurteilung von Fesselneigungen auch mit den eigenen verdrängten Wünsche und Bedürfnisse desjenigen zu tun haben. Es kostet mitunter Kraft und Mut, sich seiner Neigungen bewusst zu werden und dieses auszuleben und als Teil seiner selbst zuzulassen. Es kostet genauso Kraft, über den Tellerrand von breitengesellschaftlich proklamierten Einordnungsmodellen zu sehen oder Dinge neu einzuordnen. Meist muss dies zuvor mit dem eigenen Werte- und Moralvorstellungsmodell in Einklang gebracht werden und stellt für viele eine schwierige Gradwanderung dar. Sicher sind Fesselspiele im BDSM-Bereich sehr gut nutzbar, aber dies als alleinige Verwendungsmöglichkeit zu sehen, käme einer drastischen Beschneidung der Betrachtung gleich und entspricht bei weitem nicht den Tatsachen.
Viele Paare lieben es einfach, sich in Seilen schweben zu lassen, mit den verschiedenen Fesselstilen herumzuspielen und die verschiedenen Facetten und Tiefen des Lebens auch aus dieser Perspektive bewusst zu erkunden. Mit entarteter Sexualität oder Handlungen, welche der Norm widerstünden, hat das bei weitem wenig zu tun. Jeder, der ‚unter die Oberfläche‘ gesehen hat und das Fesseln einmal selbst erlebt oder ausprobiert hat, sich eingedacht oder an fachkundiger Stelle informiert hat, weiß, dass die Gleichsetzung von Bondage und Perversion auf einer stark eingeschränkten Blickrichtung beruht. Jedes Fesselpaar hat ein etwas anderes Verständnis und eine eigene Herangehensweise an das Thema. So wie sich zwischenmenschliche Verhältnisse nie exakt gleichen können, kann man auch hier nichts über einen Kamm scheren. Und natürlich ist es vielen Menschen angenehmer, eine krasse und damit klare Einordnung von Themen zu haben, als Dinge neu zu überdenken oder sich ein eigenes Bild zu machen.